Der Amoklauf im BORG Dreierschützengasse hat ganz Graz, ganz Österreich und Menschen weltweit erschüttert. Zehn Menschen kamen ums Leben, elf wurden verletzt. Das Rote Kreuz Steiermark war mit über 230 Einsatzkräften und 65 Fahrzeugen im Einsatz – innerhalb von Minuten begann ein koordiniertes Rettungs- und Betreuungsgeschehen, wie es in dieser Dimension selten gefordert wird. Wir sprachen mit Stefan Loseries, Pressesprecher des Roten Kreuzes, über die dramatischen Stunden, über Verantwortung, Zusammenarbeit und Menschlichkeit inmitten des Grauens.
Herr Loseries, wie haben Sie persönlich die ersten Minuten nach Eingang des Alarms erlebt?
Wir befanden uns gerade in einem Team-Meeting, als plötzlich alle unsere Handys über das interne Alarmsystem losgingen. Nur wenige Minuten später kamen bereits die ersten Anrufe vom Landesrettungskommandanten und der Leitstelle. In den ersten Sekunden war da ein Gefühl von Ungläubigkeit. Aber ich bin sofort in den Einsatzmodus gewechselt – und habe funktioniert.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als die ersten Meldungen überden Amoklauf eintrafen?
Ist das jetzt wirklich passiert? Dieser Gedanke war sehr präsent. So etwas übersteigt jede Vorstellung – trotz aller Übung.
Wie wurde das Rote Kreuz so schnell aktiv? Was war der erste entscheidende Schritt?
Der Notruf ging direkt bei der Rettungsleitstelle ein. Dort wurden sofort die notwendigen Fahrzeuge, der Einsatzleiter sowie das Landesrettungskommando alarmiert und disponiert.
Es waren über 230 Einsatzkräfte mit 65 Fahrzeugen vor Ort – wie lief die Koordination ab?
In der ersten Phase lag der Fokus bei der Leitstelle mit rund 30 Mitarbeitern sowie dem Rettungs- und Notarztdienst mit 158 Kräften vor Ort. In der zweiten Phase wurde das Kriseninterventionsteam mit über 40 Personen aktiv. Die Einsatzleitung vor Ort übernahm der Rotkreuz-Einsatzleiter. Er koordinierte die Kräfte, verteilte Ressourcen und stimmte sich eng mit Polizei, Feuerwehr und anderen Organisationen ab. Im Hintergrund war das Landesrettungskommando tätig – unter anderem für Medienanfragen, Versorgung der Betroffenen oder IT-Themen.
Wie gestaltete sich der zeitliche Ablauf des Einsatzes?
10:05 Uhr – Alarmierung10:11 Uhr – Auslösung MANV100 (Massenanfall von Verletzte10:13 Uhr – Erstes Fahrzeug am Einsatzort10:18 Uhr – Freigabe durch die Polizei
11:40 Uhr – Letzter Abtransport
16:00 Uhr – Ende des offiziellen Einsatzes
Parallel begann die fortlaufende psychosoziale Betreuung der eigenen Kräfte.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen wie Polizei, Feuerwehr oder Cobra?
Die Kommunikation erfolgt vor Ort über die jeweiligen Einsatzleiter. Im Hintergrund stehen die Einsatzstäbe im engen Austausch, um die Lage gesamthaft zu steuern. Zusätzlich pflege ich einen direkten Draht zu den Pressesprechern der Polizei und den Ansprechpartnern der anderen Organisationen – so stellen wir eine klare, einheitliche Kommunikation sicher.
Gab es Momente, in denen improvisiert werden musste?
Nein. Die Abläufe haben sehr gut funktioniert – auch dank der ausgezeichneten Vorbereitung.
Wie hat sich Ihre Ausbildung und das Training im Einsatz bezahlt gemacht?
Regelmäßige Übungen mit allen Einsatzorganisationen zahlen sich im Ernstfall aus. Natürlich unterscheidet sich der Ernstfall von der Übung – Flexibilität ist dann entscheidend. Aber die Grundlagen saßen.
Welche Rolle spielte das Kriseninterventionsteam?
Das Team wurde bereits durch eine Voralarmierung aktiviert und war somit schnell einsatzbereit. Die ersten Maßnahmen umfassten die Betreuung von rund 300 Schülern und Lehrern in der Helmut-List-Halle sowie rund 200 Angehörigen in der ASKÖ-Halle.
Wie erkennen Ihre Teams, wer sofortige Betreuung braucht?
Unsere Teams sind speziell geschult, um Menschen mit akutem Unterstützungsbedarf rasch zu erkennen. Der Erstkontakt erfolgt stets behutsam, mit dem Ziel, Sicherheit und Stabilität zu vermitteln.
Gab es einen Moment, der Sie besonders berührt hat?
Ich habe an diesem Tag einfach funktioniert. Aber ich erinnere mich an eine stille Autofahrt zwischen zwei Einsatzorten. Keine Anrufe, nur Musik und die Emotionen aus dem Radio. In diesem Moment konnte ich für einen Augenblick fühlen, was gerade passiert war.
Gab es trotz der Tragödie auch hoffnungsvolle Momente?
Ja – der Zuspruch aus der Bevölkerung war groß. Kleine Gesten wie Jausen oder Danksagungen bedeuten in so einem Moment sehr viel. Auch die spontanen Blutspendeaktionen waren ein starkes Zeichen des Zusammenhalts.
Wie gehen Ihre Kräfte mit der emotionalen Belastung um – direkt im Einsatz und danach?
Für mich persönlich ist es wichtig, nach dem Einsatz die Uniform bewusst auszuziehen. Jeder hat seinen eigenen Umgang – ob Gespräche mit Kollegen, Rückzug ins Private oder strukturierte Nachbesprechungen. Wir sind füreinander da.
Welche Nachsorge steht Ihren Teams zur Verfügung?
Neben Supervisionen und Einzelgesprächen gibt es regelmäßige Einsatznachbesprechungen – sowohl formal als auch im kleinen Kreis.
Was bedeutet es für Sie, in solchen Momenten Verantwortung zu tragen?
Ich bin seit über zehn Jahren beim Roten Kreuz in verschiedenen Funktionen tätig. Verantwortung zu übernehmen ist für mich selbstverständlich. Im Privaten hilft mir mein soziales Umfeld, das Erlebte zu verarbeiten.
Was motiviert Sie langfristig in einem Beruf, der so viel fordert?
Es ist für mich nicht einfach ein Beruf – es ist ein Dienst an der Menschlichkeit. Für andere da zu sein, Teil eines starken Teams zu sein – das motiviert mich auch nach vielen Jahren.
Wie sprechen Sie mit Ihrer Familie über solche Einsätze?
Meine Familie und Freunde fragen natürlich. Ich erzähle offen, aber nur so viel wie nötig. Manchmal genügt eine knappe Antwort – entscheidend ist, dass jemand da ist.
Woher nehmen Sie in solchen Momenten Ihre Kraft?
Aus dem Gespräch, aus dem Rückzug, aus der Zeit mit mir selbst. Das hilft mir, wieder in die Balance zu kommen.
Was möchten Sie der Öffentlichkeit mitgeben – besonders im Hinblick auf die Kräfte im Hintergrund?
Ich möchte allen Kollegen danken – nicht nur jenen vor Ort, sondern auch denen im Hintergrund, die oft übersehen werden. Besonders beeindruckt hat mich die Kollegialität: Viele waren sofort bereit, einzuspringen, Kräfte abzulösen oder Aufgaben zu übernehmen. Diese stille Unterstützung verdient höchste Anerkennung.
Herzlichen Dank, für das offene und eindrucksvolle Gespräch. Vor allem aber gilt unser aufrichtiger Dank Ihnen und Ihrem gesamten Team für den außergewöhnlichen Einsatz, die umsichtige Führung und die gelebte Menschlichkeit in einer Situation, die allen Beteiligten alles abverlangt hat.
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