Dr. Günter Paulitsch ist eine jener Persönlichkeiten, die man kaum in eine Schublade stecken kann. Zu facettenreich ist sein Weg, zu leise seine Größe. Aufgewachsen in Graz als Sohn eines Gendarmerieoffiziers, schlug er zwei Karrieren ein, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die des Fußballtorhüters und die des Richters. Und doch verband beides bei ihm eine innere Haltung – Disziplin, Unabhängigkeit, Eleganz im Handeln.
Seine sportliche Laufbahn begann Günter Paulitsch abseits des Rampenlichts. 1958, gerade maturiert, hütete er das Tor bei Maschinenfabrik Andritz. Bei einem Nachwuchsturnier in Deutschland – mit einem nicht ganz regelkonformen Spielerpass – fiel er auf: als bester Tormann ausgezeichnet, wurde Sturm Graz auf ihn aufmerksam. Der Verein holte ihn, doch seine Zeit als Nummer eins ließ auf sich warten. Paulitsch spielte hinter Franz Mikscha, einem der Besten seiner Zeit. Erst durch dessen Verletzung kam er zu regelmäßigen Einsätzen – und zeigte, was in ihm steckte. 1962, im Jahr seiner Promotion zum Dr. iuris, half er Sturm entscheidend beim Wiederaufstieg in die höchste Spielklasse.
Dass Günter Paulitsch parallel zur Fußballkarriere ein Jurastudium durchzog, war nicht nur ungewöhnlich – es war beispiellos. Als erster steirischer „Fußballakademiker“ nach dem Krieg stand er für eine Generation, die Fußball nicht nur als Beruf verstand, sondern auch als Teil eines größeren Lebensplans. Während andere ihre Nachmittage mit Training und Spielbesprechungen verbrachten, saß er über Gesetzestexten, lernte, interpretierte, diskutierte. Diese Doppelbelastung, heute unvorstellbar im Profisport, machte ihn nicht nur zu einem besseren Denker – sondern auch zu einem klareren Spieler. Auf dem Platz war er kein Lauter, keiner der polterte oder posierte. Er spielte mit Übersicht, mit Ruhe, mit einem fast juristischen Gespür für den rechten Moment.
Ein markanter Wendepunkt in seiner Laufbahn war das Jahr 1964 – ein Jahr, das zwischen Himmel und Absturz pendelte. Sturm war zu dieser Zeit sportlich angeschlagen, der Klub kämpfte – wie so oft – gegen die drohende Bedeutungslosigkeit. „Damals war Sturm eigentlich niemand“, sagte Günter Paulitsch später, „wir waren ein Abstiegskandidat, gegen die Wiener Übermacht bloß Statisten.“ Er selbst stand im Tor – verlässlich, leise, entschlossen. Und hatte das Glück – oder vielleicht auch die Gunst der Stunde –, dass ein gewisser Béla Guttmann, ungarischer Welttrainer mit Charisma und Blick für das Besondere, damals Teamchef des österreichischen Nationalteams war. Guttmann hatte Paulitsch bei einem Spiel gegen Rapid Wien beobachtet, in dem er nahezu alles hielt, was auf ihn zuflog. Noch in der Kabine fiel sein Name – und Guttmann holte ihn auf der Stelle ins Nationalteam.
Zwei Wochen später stand Günter Paulitsch in Jugoslawien im Nachwuchsteam – und hielt zwei Elfmeter. Österreich gewann 2:1, Paulitsch war der Mann des Spiels. „Ich war Vater des Sieges“, sagte er später, nicht überheblich, sondern mit einem gewissen ungläubigen Staunen. Vierzehn Tage darauf dann das ganz große Spiel: Länderspiel gegen die Sowjetunion, im Wiener Praterstadion. Damals war Russland – wie Ungarn – eine Fußballmacht, gespickt mit Weltstars, physisch überlegen, taktisch gefürchtet. Und ausgerechnet Günter Paulitsch, der stille Keeper aus Graz, stand zwischen den Pfosten. Guttmann hatte ihn den Großen vorgezogen, den Etablierten, den Wiener Vereinen – und Paulitsch enttäuschte nicht. Mit ruhiger Hand und klarem Kopf hielt er alles, was zu halten war. Österreich gewann 1:0. Es war ein sensationeller Sieg, Paulitsch war auf dem Höhepunkt – und dann kam der Bruch.
Guttmann trat zurück. Der neue Teamchef formierte um, lud vier Torhüter ins Trainingslager – aber nicht Günter Paulitsch. „Das war meine bitterste Zeit“, erinnert er sich. „Vorher war ich plötzlich Nationalspieler, dann nicht einmal mehr auf der Liste.“ Kein weiterer Einsatz, kein Rückruf – nur Stille. Und das, obwohl er gerade das Spiel seines Lebens gespielt hatte. Was heute undenkbar scheint – dass ein Torwart nach einem Sieg gegen Russland einfach verschwindet – war damals die Normalität eines instabilen Systems, das Namen mehr zählte als Leistung.
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