Ein Besuch im Tageszentrum ELISA, an dem Menschen mit Demenz nicht funktionieren müssen – sondern einfach sein dürfen. Ein Gespräch mit Leiter Marc Kosche, der mit Herz, Verstand und unerschütterlicher Hingabe Menschen durch eine stille Krankheit begleitet, die oft übersehen wird. Demenz hat tausend Gesichter. Doch im Tageszentrum ELISA in Graz lernen sie alle wieder zu lachen – und manchmal sogar, sich ein bisschen zuhause zu fühlen. Wenn man Marc Kosche über seine Arbeit sprechen hört, wirkt er nicht wie ein typischer Leiter eines Tageszentrums – sondern wie jemand, der Menschen einfach versteht. „Wir nehmen den Menschen den Stressrucksack ab, bevor sie zur Tür hereinkommen“, sagt er. Und das beginnt schon bei der herzlichen Begrüßung am Eingang, bei der jeder Gast mit einem freundlichen Lächeln empfangen wird – ganz gleich, wann er eintrifft. Es gibt keinen Zeitdruck, kein Muss. Wer später kommt, kommt eben später. Es ist diese Haltung, die das Tageszentrum ELISA so besonders macht – und so menschlich.
Ein Zuhause für ein paar Stunden – aber mit ganz viel Gefühl
Das Tageszentrum betreut täglich bis zu 15 Gäste mit mittelschwerer bis schwerer Demenz. Doch statt starrem Tagesplan und festem Takt gibt es hier Rituale, die Halt geben – und Freiheit, die beruhigt. Der Tag beginnt im Speisesaal mit einem gemeinsamen Frühstück. Wer schon gegessen hat, kann trotzdem mitessen – so lange und so viel er möchte. Danach folgt eine tägliche Zeitungsrunde, die mehr ist als ein gemeinsamer Blick auf Schlagzeilen: Es geht um Impulse für das Hier und Jetzt. Was passiert heute? Was war gestern? Was kommt morgen oder nächsten Monat? Was bewegt gerade die Welt? All das wird behutsam besprochen – mit dem Ziel, das Gehirn sanft zu aktivieren und den Bezug zur Realität zu stärken. „Demenz ist nie gleich. Jeder Tag ist anders, jede Geschichte, jedes Gesicht“. Und deshalb müsse Betreuung so flexibel wie möglich sein. „Systeme über Menschen stülpen funktioniert hier nicht.
“Individualität ist kein Extra – sondern die Basis
Nach dem Frühstück werden individuelle Gruppen gebildet – je nach Fähigkeiten, Interessen und Tagesverfassung. Eine Ergotherapeutin splittet zusätzlich in kleinere Einzelgruppen oder gezielte Aktivitätseinheiten. Unterstützt wird sie dabei von Sozialbetreuer, Pflege-Fachassistenten und einem festen sechsköpfigen Team – alle geschult im Umgang mit Demenz, empathisch, herzlich und mit einem tiefen Verständnis für den Menschen. Marc Kosche betont: „Meine Mitarbeitenden sind handverlesen und leben die Teamarbeit– ich brauche Menschen mit einer ausgeprägten emotionalen Intelligenz, die nicht nur fachlich kompetent sind, sondern Ihre Arbeit wirklich mit dem Herzen machen.“
Wer darf kommen? Ganz einfach: Jeder, der Hilfe braucht
Der Zugang zum Tageszentrum ist niederschwellig gestaltet. Oft beginnt alles mit einem einfachen Satz am Telefon: „Meine Mama ist dement, und wir kommen zuhause nicht mehr zurecht.“ Das genügt für einen ersten Kontakt. Ein Schnuppertag wird vereinbart – danach entscheidet das Team gemeinsam, ob die Betreuung für den jeweiligen Gast passend ist. „Manchmal sehen wir, dass jemand schon zu stark betroffen ist – dann empfehlen wir gezielt andere Stellen. Aber bei den allermeisten finden wir einen Weg“, erklärt Kosche. Wichtig ist: Die Entlastung der Angehörigen geht immer Hand in Hand mit der Betreuung der Gäste. Denn nur wenn beide Seiten unterstützt werden, kann ein gutes Miteinander gelingen.
Musik, Bewegung, Kreativität – die Sprache der Seele
Musik spielt im ELISA eine besondere Rolle. Sie überwindet Sprachlosigkeit, durchdringt Verwirrung, erreicht das, was Worte nicht mehr erreichen können. Kosche erzählt von einem Mann, schwer betroffen, fast vollständig in sich zurückgezogen – und wie klassische Musik ihn zurück in die Welt holte. „Jetzt geht er allein durchs Haus“, sagt Kosche – und lächelt. Die Wirkung von Musik sei kein Geheimnis, aber eine immer wiederkehrende Offenbarung. Ob Peter Alexander oder Mozart – wenn das Lied passt, beginnt die Seele zu tanzen und die Gäste zu singen. Auch deshalb plant das Team bald ein eigenes Klassikkonzert. Auch Bewegung, Kreativarbeit und Biografiearbeit sind zentrale Elemente im Alltag. „Wir passen unsere Aktivitäten immer den Menschen an, die gerade da sind – nicht umgekehrt.“
Ein starkes Netzwerk – mit Herz und Kompetenz
Ein entscheidender Faktor für die Qualität im ELISA ist die enge Anbindung an das Krankenhaus der Elisabethinen, das nur 150 Meter entfernt liegt. Hier ist nicht nur medizinisches Fachwissen in greifbarer Nähe – auch die Werte und Haltung der Elisabethinen prägen den Alltag im Tageszentrum. „Schau hin und handle“ – dieser Leitsatz ist hier keine Floskel, sondern gelebte Praxis. Dir. Christian Lagger, Geschäftsführer des Krankenhauses, ist einer der wichtigsten Unterstützer des Projekts. „Er hat an uns geglaubt – und ermöglicht, dass wir diese Form der Betreuung überhaupt realisieren konnten“.
Würde ist, wenn man sich selbst noch spüren darf
„Altern in Würde“, bedeutet für mich, Freiräume zu lassen und den Menschen nicht zu nehmen, was sie noch ausmacht. Dazu gehöre auch, nicht nur über Diagnosen zu sprechen, sondern über das, was bleibt – das Menschsein, das Fühlen, das Bedürfnis nach Sicherheit, Nähe und Wärme. Beim Rundgang durch das Tageszentrum fällt eines sofort auf: Es ist leise – aber nicht still. Es ist freundlich – aber nicht aufgesetzt. Hier wird nicht „betreut“, sondern begleitet. Hier werden keine Patienten „abgefertigt“, sondern Menschen gesehen.
Der Mensch bleibt – auch mit Demenz
„Viele Gäste sagen anfangs: Ich will heim. Und wenn sie dann nach Hause gebracht werden, sagen sie: Ich will ham – und meinen damit uns. Das ist das größte Kompliment.“ Man glaubt ihm sofort. Vielleicht können wir Demenz nicht heilen. Aber wir können Räume schaffen, in denen sie nicht alles einnimmt. Orte wie das Tageszentrum ELISA. Und Menschen wie Marc Kosche, die zeigen: Wenn es einen Ort gibt, an dem man sich trotz Demenz wieder spüren darf – dann ist es vielleicht genau hier.
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