Der heutige Stand der Forschung zeigt, dass die Gründe für die Entwicklung von Suchterkrankungen komplex und individuell unterschiedlich ausgeprägt sind. Dabei spielen biologische Faktoren wie die Genetik, psychologische Faktoren wie beispielsweise Bewältigungsstrategien bei Stress, aber auch Umwelteinflüsse eine Rolle. Die Psychotherapie kann dabei ansetzen, ein Verständnis für die Wirkungsweise biologischer Einflüsse zu schaffen und bessere Strategien für den Umgang mit psychischen Belastungen zu entwickeln.
Natürlich kann man auch daran arbeiten, sich ein soziales Umfeld zu schaffen, das für ein gesundes Leben förderlich ist. Jedoch muss aus meiner Sicht umgekehrt auch ein tieferes Verständnis für Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen allgemein in der Gesellschaft geschaffen werden, wo teilweise immer noch überholte Vorstellungen und Ideen über den richtigen Umgang mit diesen Erkrankungen vorherrschen. Denn gerade weil Einsamkeit und Isolation Ursachen für Abhängigkeitserkrankungen sind, wäre es essenziell, für Betroffene Möglichkeiten zu schaffen, besser in die Gemeinschaft integriert zu werden.
Neben Alkohol- und Drogensucht gibt es viele andere Süchte, wie zum Beispiel die Konsumsucht. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Gerade in der Arbeit mit alkohol- und drogenabhängigen Menschen erlebt man immer wieder ein Phänomen, das als Suchtverlagerung bekannt ist. So kann es beispielsweise vorkommen, dass eine heroinabhängige Person es schafft, dem Konsum von Heroin zu widerstehen, jedoch stattdessen beginnt, Alkohol zu trinken. Dieses Phänomen der Suchtverlagerung kann auch substanzungebundene Süchte betreffen, und daher ist es nicht ungewöhnlich, dass ich in meiner Arbeit mit drogen- oder alkoholabhängigen Menschen auch mit Erkrankungen wie Sportsucht, Spielsucht oder Ähnlichem konfrontiert bin
Haben sich die Therapiemöglichkeiten in den letzten Jahrzehnten verbessert?
Einerseits wächst der Wissensstand um wirksame Behandlungsformen mit jedem Jahr, und ich habe den Eindruck, dass die Akzeptanz für die Entscheidung, therapeutische Hilfe anzunehmen, in der Gesellschaft generell steigt. Dies führt unter anderem dazu, dass in manchen Fällen eher früher als später hingeschaut wird und Probleme frühzeitig erkannt werden. Dennoch gibt es noch immer Aufholbedarf, beispielsweise was die langfristige Eingliederung von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen in die Gesellschaft betrifft.
Was sind Ihre Zukunftsvisionen und Wünsche?
Es wäre sinnvoll, Präventionsprogramme zu fördern und vor allem junge Menschen frühzeitig im Rahmen von psychoedukativen Maßnahmen aufzuklären, was Suchterkrankungen betrifft. Alles, was dabei hilft, in der Gesellschaft ein besseres Bewusstsein für Suchterkrankungen zu schaffen, wäre den Betroffenen, deren Angehörigen und der Gesellschaft an sich dienlich. Dabei wäre es wichtig, vom veralteten Bild von Sucht, das mit Willensschwäche zu tun hat, wegzukommen und sich dem Verständnis von Sucht als eine chronische, aber behandelbare Krankheit anzunähern. Bei einer Suchterkrankung sollte unbedingt therapeutische Hilfe in Anspruch genommen werden.
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