Im Jahr 2009, an einem scheinbar ganz gewöhnlichen Morgen, änderte sich das Leben von Daniel Kontsch schlagartig. Er war gerade mal 22 Jahre jung und auf dem Weg zur Arbeit, als ein folgenschwerer Fehler alles veränderte. Beim Überholen übersah er ein entgegenkommendes Auto. Der Zusammenstoß war heftig. Daniel erinnert sich bis heute an drei prägende Momente: den harten Aufprall, das kurze Gefühl, durch die Luft zu fliegen, und schließlich den Schmerz und die Hilflosigkeit, als er am Boden lag. „Hilfe, ich kann meine Beine nicht bewegen!“, schrie er den Rettungskräften entgegen, bevor alles schwarz wurde.
Von diesem Moment an lag Daniels Leben in den Händen der Ärzte. Die Verletzungen waren verheerend. Sein Becken war zertrümmert, nahezu alle seine Wirbel waren gebrochen, der 12. Brustwirbel komplett zerstört. Ein massiver Bluterguss schnitt die Nerven ab und führte zur Lähmung seiner Beine. Seine inneren Organe waren ebenfalls schwer beschädigt – die Leber gerissen, die Milz verletzt, Teile des Darms mussten entfernt werden. Beide Lungenflügel waren kollabiert, und fast alle Rippen auch gebrochen. Trotz dieser massiven Verletzungen schafften es die Notärzte, ihn so zu stabilisieren, dass er mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden konnte.
Die nächsten zwei Wochen lag Daniel im Koma, während die Ärzte in einer Notoperation und mehreren kleineren Eingriffen sein Leben retteten. Sein Körper kämpfte unermüdlich, er verlor dabei fast 20 Kilo. Während dieser Zeit erlebte Daniel intensive Halluzinationen. Besonders eindrücklich war die Vorstellung, dass er in einen Roboterkörper verpflanzt worden war, weil sein menschlicher Körper nicht mehr zu retten war. In dieser surrealen Fantasie stolperte er durch den Alltag, unfähig, mit seinem schweren, unförmigen Roboterkörper klarzukommen.
Manche Halluzinationen waren noch weiterreichend. In einer verstörenden Vision sah sich Daniel in einer makabren Quizshow, in der er entscheiden musste, welcher seiner Freunde als Nächstes sterben sollte. Diese dunklen Bilder, so beängstigend sie auch waren, halfen ihm unbewusst, die Realität seines Zustands zu verarbeiten.
Nach zwei Wochen entschied sich das Ärzteteam für eine entscheidende 12-stündige Operation, bei der Daniels Wirbelsäule stabilisiert und seine schwersten Verletzungen behandelt wurden. Am Tag nach dieser Marathon-Operation wachte Daniel auf – zum ersten Mal seit dem Unfall. Als er seine Augen öffnete, wusste er sofort, dass sein Leben nie wieder dasselbe sein würde. Er konnte seine Beine nicht mehr spüren, und sein Körper war von Schläuchen, Verbänden und Apparaten gesteuert. Doch statt in Verzweiflung zu versinken, nahm Daniel die Situation erstaunlich gefasst an. „Es ist, wie es ist“, dachte er. Von diesem Moment an begann er, das Beste aus seinem neuen Leben zu machen.
Schon während seines Krankenhausaufenthalts half ihm die psychologische Betreuung, seine neue Realität zu akzeptieren. Für Daniel wurde der Rollstuhl schnell nicht zu einem Symbol des Verlustes, sondern zu einem Werkzeug der Freiheit. Nachdem er monatelang nur liegen konnte, war es für ihn ein befreiendes Gefühl, sich endlich wieder selbstständig bewegen zu können, auch wenn es im Rollstuhl war.
In der Reha entdeckte Daniel auch den Sport für sich. Er begann mit Rollstuhlbasketball, das ihm nicht nur körperliche Stärke, sondern auch neuen Lebensmut gab. Die Gemeinschaft, der Wettbewerb und die Bewegung gaben ihm ein Gefühl der Normalität zurück. Rollstuhlbasketball wurde über Jahre hinweg zu einer Leidenschaft, und Daniel spielte schließlich in der österreichischen Liga der Rehaklinik Tobelbad im Nationalteam. Der Sport gab ihm eine Struktur und half ihm, den Fokus nicht auf das zu legen, was er verloren hatte, sondern auf das, was er erreichen konnte.
Doch der vielleicht tiefgreifende Wendepunkt in Daniels Leben kam mit seinem Hund Capper, einem kleinen Sheltie. Ursprünglich als einfacher Begleithund für Daniel gedacht, zeigte Capper schnell, dass er weit mehr zu bieten hatte. Hütehunde wie er sind normalerweise eher auf eine Person fixiert und skeptisch gegenüber Fremden, aber Capper war anders. Während eines Besuchs in der Rehaklinik Tobelbad, wo Daniel oft in Behandlung war, fiel ihm auf, wie offen und freundlich der kleine Hund auf die Patienten zuging. Er ließ sich streicheln, brachte die Menschen zum Lachen und schien ihre Nähe regelrecht zu genießen.
Es war ein Moment, als Daniel erkannte, dass Capper das Potenzial hatte, ein Therapiehund zu werden. Die einjährige Ausbildung war anspruchsvoll, doch Capper bestand jede Prüfung mit Bravour.
Daniel und Capper sind mittlerweile ein eingespieltes Team. „Capper ist nicht nur ein Hund, sondern ein wertvoller Teil der Therapie für viele Patienten in Tobelbad, aber auch mein bester und ehrlichster Freund.”
Die Therapie mit Capper ist vielfältig und individuell auf die Bedürfnisse der Patienten abgestimmt. Ob es das Streicheln seines weichen Fells ist, das beruhigt und Nähe schenkt, oder das gemeinsame Ballspielen, bei dem die Patienten körperlich und geistig aktiviert werden – Capper bringt immer Freude und Motivation in jede Sitzung. Seine fröhliche und zugängliche Art hilft dabei, Barrieren abzubauen und fördert nicht nur die körperliche Genesung, sondern auch das seelische Wohlbefinden.
„Ein besonders ergreifender Moment ereignete sich, als die beiden mit einem Patienten arbeiteten, der aufgrund einer sehr hohen Lähmung weder Arme noch Beine bewegen konnte. Monatelang hatte er keinerlei sichtbare Fortschritte gemacht. Seine Hände lagen kraftlos auf einem Tablett vor ihm, ohne jede Regung. Daniel entschied sich, etwas Neues auszuprobieren. Er setzte Capper direkt auf das Tablett des Rollstuhls und führte die Hand des Patienten durch Cappers weiches Fell. Zunächst geschah nichts. Doch nach einigen Minuten begann die Hand des Patienten leicht zu zittern. Es war, als wollte er instinktiv versuchen, den Hund zu streicheln. Es war das erste Lebenszeichen seiner Muskeln nach vielen Monaten der Bewegungslosigkeit. „Es war ein magischer Moment“, beschreibt Daniel diesen Augenblick. „Nach Monaten ohne Fortschritte zeigte der Patient zum ersten Mal eine Reaktion – und alles nur, weil Capper da war.“ Für Daniel war dies der Beweis, dass Tiere eine tiefgreifende Wirkung auf Menschen haben können, selbst wenn alle anderen Therapien scheitern.
Heute ist Capper bereits seit vielen Jahren ein erfolgreicher Therapiehund, der Menschen hilft, ihre körperlichen und seelischen Wunden zu heilen. Daniel, der mittlerweile auch das Paraclimbing für sich entdeckt hat, sieht seine Zukunft weiterhin positiv. Für ihn war der Unfall kein Ende, sondern ein Neuanfang. Mit seinen Therapiehund Capper an seiner Seite hat er nicht nur für sich selbst eine neue Lebensaufgabe gefunden, sondern vielen Menschen, die von dem unzertrennlichen Team Daniel und Capper profitieren.
„Geht nicht, gibt’s nicht“, sagt der freundliche, positive und fröhliche Daniel Kontsch oft – ein Motto, das ihn durch die dunkelsten Tage getragen hat und das ihn auch weiterhin in die Zukunft blicken lässt, voller Möglichkeiten und Chancen.
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